Anzeige

Anzeige

Zum Artikel

Erstellt:
26. Februar 2024, 08:30 Uhr
Lesedauer:
ca. 4min 04sec

Norderney: Der Mittwochs-Gynäkologe

Wie ist die gynäkologische Versorgung auf Norderney wirklich?

Norderney: Der Mittwochs-Gynäkologe

Norderney Mareke Heyken ist Redakteurin beim Ärztenachrichtendienst (änd) mit Sitz in Hamburg. Sie stammt ursprünglich aus Ostfriesland und hat auch einige Zeit auf Norderney gelebt. Darum hat sie ein besonderes Interesse an der hiesigen Situation, die sie aus ihrer Perspektive beschreibt.

Norderney hat viel zu bieten für Menschen, die die Natur wertschätzen. In medizinischer Hinsicht müssen sie dafür zum Teil Abstriche machen – insbesondere Frauen.

Rund 6200 Bewohnerinnen und Bewohner zählt unsere Insel, etwa 3300 davon sind Frauen. Eine Anzahl, die nicht ausreicht, um einen kompletten gynäkologischen Kassenarztsitz zu rechtfertigen, sagt die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Niedersachsen auf Nachfrage. Für den Landkreis Aurich, zu dem Norderney zählt, seien knapp 7000 Frauen für einen ganzen Kassensitz nötig. „Mit einer Verhältniszahl von 6.221 Einwohnerinnen zu einem Gynäkologen würden selbst die beiden großen Inseln (also Borkum und Norderney) keinen Bedarf für einen vollen Sitz zulassen“, erklärt KV-Sprecher Detlef Haffke.

Die Insel hilft sich anders: Der Gynäkologe Dr. Daniel Günther, der auf dem Festland in Marienhafe – rund 25 Kilometer von Norderney entfernt – eine Praxis hat, führt seit etwa einem Jahr eine Zweigstelle auf der Insel.

Jeden Mittwoch öffnet er für acht Stunden seine Türen. Zur KV-Bedarfsplanung, die keinen vollen Kassenarztsitz für die Insel vorsieht, sagt er: „Ja, das steht so auf dem Papier. Aber die Realität sieht anders aus.“ Sein Eindruck sei, dass die Nachfrage sehr hoch sei. „Es reicht nicht, nur einen Tag da zu sein.“ Er halte Norderney – aber auch weite Teile Ostfrieslands – für unterversorgt.

Eine Unterversorgung gibt es aber laut Dr. Klaus Doubek, Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte (BVF), nicht. Dem Verband lägen „keine Erkenntnisse vor, dass die weibliche Bevölkerung in ausgewählten geografischen Regionen Deutschlands derzeit einer erhöhten Gefährdung unterliegt oder in Notfallsituationen unter- oder gar unversorgt ist“. Allerdings erhöhe die Inselversorgung mit ihren regionalen Besonderheiten und einer geringen Patientenzahl den Druck, „wenn ambulante Versorgungsangebote wirtschaftlich und personell funktionieren sollen – das muss man nüchtern festhalten“. Der Verband empfiehlt, Versorgungsengpässe auf lokaler Ebene zu beseitigen, indem man sich beispielsweise auf kommunaler Ebene um eine Frauenärztin oder einen Frauenarzt bemüht.

So ist es auch auf der Insel geschehen. Denn bevor Günther im vergangenen Jahr seine Zweigstelle eröffnete, gab es zeitweise überhaupt keine Frauenärztin beziehungsweise keinen Frauenarzt, erzählt Norderneys Bürgermeister Frank Ulrichs. Seit dem Jahr 2012 hatte demnach ein Gynäkologe auf der Insel praktiziert, der eigentlich schon im Ruhestand war. Als dieser endgültig erklärte, nicht mehr arbeiten zu wollen, klaffte auf der Insel eine Lücke, bis Günther nach Norderney kam. „Ein Glück“, sagt Ulrichs. Die Einrichtung für seine Praxis bezahlte die Stadt.

Wer sich ebenfalls sehr dafür eingesetzt hat, dass es wieder eine frauenärztliche Versorgung auf der Insel gibt, ist der Familienverein Inselzwerge. Dessen Schriftführerin Christine Schymczyk erzählt, dass der Verein eine Demo veranstaltet, dem Bürgermeister eine Unterschriftenliste überreicht und einen Leserbrief in der Zeitung veröffentlicht habe.

Dass es nun auf der Insel einen Gynäkologen gibt, „ist gar nicht so schlecht“, sagt Schymczyk. Aber ganz zufrieden seien die Inselbewohnerinnen trotzdem nicht: Sie würden sich einen Arzt oder eine Ärztin wünschen, der oder die dauerhaft auf der Insel sei, um beispielsweise gynäkologische Krankheiten oder Schwangerschaften besser zu begleiten.

Wie ist es, schwanger zu sein auf dieser Nordseeinsel? Wirklich locker seien vor allem diejenigen, die nicht zum ersten Mal schwanger seien, sagt Schymczyk. „Viele, die schon ein Kind haben, haben nicht so die großen Sorgen. Sie denken: Es wird schon gut gehen.“

Tatsächlich ist auf der Insel nicht nur kein Gynäkologe oder keine Gynäkologin täglich ansässig, auch Hebammen gibt es vor Ort nicht. Nach Angaben des Bürgermeisters Ulrichs hat sich die Stadt aber auch hier mit Erfolg bemüht und finanzielle Anreize geschaffen, eine Geburtshelferin zu finden, die zumindest einmal pro Woche nach Norderney kommt. Gerade in der ersten Schwangerschaft seien Frauen schnell verunsichert, sagt Ulrichs.

In Notsituationen sollten Schwangere Ärztinnen und Ärzte anderer Fachgruppen aufsuchen, die auf der Insel eine Praxis haben, empfiehlt die KV Niedersachsen auf Nachfrage. Dort werde entschieden, wie weiter zu verfahren sei. Eine Möglichkeit sei, sagt Ulrichs, dass die Frauen abseits der Fährzeiten mit einem Helikopter aufs Festland ausgeflogen würden. Oder dass sie mit einem Rettungsboot nach Norddeich gefahren würden, das auch bei widrigen Wetterbedingungen rausfahren könne.

Da es auf der Insel keine Geburtshilfestation mehr gibt – und auch im nächstgelegenen Krankenhaus auf dem Festland in Norden nicht – müssen Frauen für eine Entbindung eine entsprechend lange Anreise einplanen. Wem das zu riskant ist, dem bleibt nur, sich um den Geburtstermin herum eine Unterkunft in der Nähe des Krankenhauses zu suchen, an dem die Entbindung gewünscht ist. Auf eigene Kosten. Für Dr. Daniel Günther ist das aus Gründen der Sicherheit übrigens keine Option, sondern Pflicht. „Ich fordere das von meinen Patientinnen ein.“

Wenn der Gynäkologe Günther könnte, würde er seine Tätigkeit auf der Insel nach eigenen Angaben weiter ausdehnen. Doch das sei KV-rechtlich nicht möglich: Er habe einen ganzen Versorgungssitz, davon stelle seine Tätigkeit auf Norderney nur einen kleinen Teil dar. Ein schlechtes Gewissen gegenüber den Frauen, die sich eine bessere Versorgung wünschen, habe er aber nicht. „Mehr als arbeiten kann ich nicht“, sagt er. Auch Bürgermeister Ulrichs sagt: „Es wäre schon schön, wenn man eine Rundum-Versorgung hätte. Es könnte immer mehr sein. Aber wir sind froh, dass wir jemanden haben.“

So sehen das auch die Inselbewohnerinnen. Was ihnen aber außer einer durchgängigen medizinischen Versorgung fehlt, wird im Gespräch mit Christine Schymczyk vom Norderneyer Familienverein deutlich: Wahlfreiheit. Nicht alle kämen gut klar mit dem Gynäkologen, der die Insel betreut. Doch gleichzeitig habe nicht jede Frau die Möglichkeit, einen Arzt oder eine Ärztin auf dem Festland aufzusuchen. Ein Akt, für den man sich aufgrund des Zeitaufwands Urlaub nehmen und im Zweifel eine Kinderbetreuung suchen müsste.

(Quelle: Ärztenachrichtendienst)

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen